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Seine Hände meine Hände

Für mich gab es einmal einen großen Schatz. Gefunden in einem altehrwürdigen Antiquariat in Amsterdam: vierzig Originaldrucke des flämischen Holzschneiders Frans Masereel, ein Spätwerk, von dem es tatsächlich keine Reproduktionen gab. Vierzig mal Hände: junge Hände, die sich ineinander legten, alte, runzlige Hände, die auf Knien ruhten, eine Hand, aus deren Linien gelesen wurde, Hände, die sich aus einem vergitterten Fenster hinaus streckten, lodernde Hände, Hände, die jemandem eine lange Nase zeigten - und so weiter. Obwohl die Schnittführung nicht mehr so schwungvoll und souverän war wie bei den früheren Holzschnitten Masereels - oder vielleicht gerade deshalb - berührten mich diese Drucke sehr. Selten hatte ich so etwas Kostbares in meinen Händen gehalten: eben einen großen Schatz.
Die gesamte Mappe sollte 1200 Gulden kosten, also dreißig Gulden pro Blatt. Das war nicht teuer. Aber meiner Meinung nach hatten wir diese Summe nicht wirklich übrig. Ich ließ Zeit verstreichen. Meine Frau überzeugte mich schließlich, dass ich mir einen so drängenden Herzenswunsch doch unbedingt erfüllen müsse. "Dann eben ein halbes Jahr Kartoffelsuppe", sagte sie.
Wir fuhren nach Amsterdam. Fanden ziemlich direkt das Antiquariat - wie oft war ich in Gedanken den Weg vom Bahnhof bis hierher gegangen? Wir traten ein. Ich mit freudigem Bangen, feierlich. Stellte die Frage nach den "Mains". Der Verkäufer suchte kurz im Computer. Schüttelte den Kopf: "Tut mir leid, mein Herr, die sind nicht mehr da. Verkauft. Nach Amerika.Vor kurzem."
Die hohen Regalwände wankten. Meine Frau nahm meine Hand. Zog mich ins Freie. Die Nachmittagssonne. Die Schatten der vielen Menschen auf der Fußgängerzone. Eine Weile folgten wir dem Strom. Schoben uns in ein Café an der Gracht. Setzten uns draußen hin. Ich fand die Sprache wieder. Sagte noch: "Nirgends gibt es hier Sicherheitsgeländer." Und trotzdem wäre es beinahe passiert: Als ich, um meine Beine übereinander schlagen zu können, mit dem Stuhl vom Tisch abrückte, rief meine Frau: "Pass auf!" Noch zehn Zentimeter weiter - und ich wäre hintüber im schwarzen Wasser gelandet.
Auf der Fahrt nach Haus fasste ich den Entschluss: Wenn ich die "Hände" Masereels nicht haben konnte, musste ich eben meine eigenen Hände machen, meine "Mains".
So entstanden in den nächsten Monaten die Linolschnitte von der Arbeit im OP, die den Anfang meines Buches bilden. Das vielleicht nicht entstanden wäre, wenn ich Masereels "Mains" bekommen hätte, den Schatz seiner Hände.